Die Interessenabwägung im Arbeitsrecht

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Reichen Arbeitnehmer nach einer Kündigung eine Kündigungsschutzklage ein, nimmt das Gericht eine Interessenabwägung vor, welche die soziale Rechtfertigung der Kündigung prüfen soll. Bei einer Interessenabwägung wird das Interesse des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden gegen das Interesse des Arbeitnehmers, den Arbeitsplatz zu behalten abgewogen. Wird festgestellt, dass sich der Arbeitgeber eines milderen Mittels (z.B. einer Abmahnung oder einer Versetzung) hätte bedienen können, ist die Kündigung unwirksam.

Bei der Interessenabwägung besteht für das Gericht ein beträchtlicher Beurteilungsspielraum, der auch dazu führen kann, dass die Arbeitnehmerinteressen als maßgeblich angesehen werden und ihm so nicht gekündigt werden kann. Auf der anderen Seite muss der Kündigungsgrund so schwerwiegend sein, dass für den Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Mitarbeiters langfristig nicht zumutbar wäre. Eine Interessenabwägung findet sowohl bei personenbedingten als auch bei verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigungen statt. Bei außerordentlichen Kündigungen dient die Interessenabwägung dazu festzustellen, ob es zumutbar wäre, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist ordnungsgemäß weiterzuführen oder nicht.

Einflussfaktoren bei der Interessenabwägung

Wie die Interessenabwägung ausfällt, hängt von unterschiedlichen Einflussfaktoren ab. So sind zum Beispiel die Sozialdaten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dazu gehören die Betriebszugehörigkeit, das Alter, eventuelle Unterhaltspflichten oder das Vorliegen einer Schwerbehinderung. Auch wird in Betracht gezogen, wie lange das Arbeitsverhältnis schon störungsfrei verlief, wie hoch der Grad des eigenen Verschuldens des Arbeitnehmers ausfällt, ob eine Zwangslage vorlag und wie es um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestellt ist.

Auf der Arbeitgeberseite spielt eine Rolle, wie schwer der genannte Kündigungsgrund wiegt und wie hoch der daraus resultierende betriebliche Schaden ausfällt, d.h. wie hoch beispielsweise der finanzielle Schaden oder Imageschaden einzuschätzen ist. Arbeitgeber müssen also stets Kündigungsgründe vorweisen, die einer Interessenabwägung standhalten können und nachweisen können, dass eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar wäre.

Einzelfallbezogene Entscheidungen bei der Interessenabwägung

Je stärker die genannten Einflussfaktoren zutreffen bzw. ausgeprägt sind, desto triftigere Kündigungsgründe muss der Arbeitgeber vorweisen. Die Interessen eines seit 50 Jahren beschäftigten Arbeitnehmers mit drei Kindern wiegen also schwerer als die eines ledigen Berufseinsteigers. Sämtliche Argumente können und müssen bei der Interessenabwägung erläutert werden. So muss die Arbeitgeberseite verdeutlichen, dass eine Weiterbeschäftigung unmöglich oder das Vertrauen verletzt ist, der Arbeitnehmer seinen Vertragspflichten langfristig  nicht nachkommen kann oder durch sein Verhalten betriebsschädigend ist. Auf der Arbeitnehmerseite muss hingegen für eine weitere Chance plädiert und auf die Notwendigkeit des Arbeitsplatzes hingewiesen werden.

Hat ein Arbeitgeber einem anderen Arbeitnehmer bei einem gleichen Sachverhalt nicht gekündigt, muss er ganz besonders verdeutlichen, wieso die Sachlage im expliziten Einzelfall eine andere und die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.

In der Praxis ist es sehr schwer, den Ausgang einer Interessenabwägung im Vorfeld vorauszusehen. Vieles hängt auch vom Verhandlungsgeschick der beiden Parteien ab. In jedem Fall fällt das Gericht eine individuelle Entscheidung, die ausschließlich auf den Einzelfall bezogen ist. Grundsätzlich steht bei verhaltensbedingten Kündigungen das Arbeitgeberinteresse im Vordergrund, während bei personen- und betriebsbedingten Kündigungen das Interesse des Arbeitnehmers stärkere Berücksichtigung findet.